Begründung der Jury
ZKB FÖRDERPREIS 2023: «L’homme rare» von Nadia Beugré
«Mit ‹L’homme rare› haben Nadia Beugré und ihr Team eine Reise der Befreiung und der Freude geschaffen, die durch Landschaften des menschlichen Körpers in all seiner Stärke und Zerbrechlichkeit führt.
Nach einem mitreissenden feierlichen Einstieg entfaltet sich zwischen den Körpern der Tänzer eine aussergewöhnliche Geschichte der Freiheit, in der es gelingt, Stereotypen von Männlichkeit und Weiblichkeit Schicht für Schicht abzustreifen. Während des Stücks sieht das Publikum hauptsächlich die Rückseiten der Performer. Ihre Blicke, Gesichter und Körperfronten bleiben dem Publikum entzogen. Das wirft Fragen nach dem Unsichtbaren auf; erlaubt uns aber auch, über gängige Vorstellungen von Gender und Zugehörigkeit hinauszudenken. Auf empowernde und zugleich poetische Weise widersetzt sich diese Performance jedem Korsett starrer Kategorien und enthüllt den Körper als eine unendlich offene Leinwand der Bedeutungen und Identitäten.
Gemeinsam mit einem bemerkenswerten Ensemble hat die Choreografin einen einzigartigen Ausdruck geschaffen, der weder homogenisiert noch exotisiert, und worin verschiedene kulturelle Vermächtnisse und Sprachen gleichzeitig existieren und zu einem gemeinsamen Ganzen beitragen. Spielerisch und behutsam bewegen sich die Performer zwischen sozialen und kulturellen Metaphern und bieten damit unendliche Interpretationsmöglichkeiten an: von antiken Skulpturen über Motive alter und zeitgenössischer Rituale bis hin zu fabelhaften Wesen. Die Gleichzeitigkeit der Bedeutungen und die Vielfalt der Ausdrucksweisen lassen trennende Linien verschwimmen und vermitteln eine Vorstellung von echter Verbundenheit. Eine Befreiung!»
ZKB ANERKENNUNGSPREIS 2023: «Sronoh & Snow White» von Khun Sreynoch & Ny Lai
«‹Sronoh & Snow White› setzt dort an, wo der Schmerz am tiefsten sitzt, und entwirrt ihn auf bewegende Weise. Die zweiteilige Performance beginnt mit einem Ritual, das Frauen* gedenkt, die in Kambodscha Opfer historischer Grausamkeit wurden. Die Bildsprache, mit der sich das Künstlerinnenduo Khun Sreynoch & Ny Lai zunächst der traumatischen Geschichte und dann der Gegenwart ihres Landes nähern, ist stark, schön und doch zart. Sie schaffen eine visuelle Poesie der Stimmen, die nicht mehr geteilt werden können. Mit herausragender ästhetischer Präzision und ganz ohne Worte haben die Künstlerinnen einen einzigartigen Ausdruck für das Unsagbare geschaffen. Der facettenreiche Einsatz einfacher Requisiten – feines Kreidepulver und ein roter Lippenstift – verbindet die beiden Teile der Performance wie ein Zeitsprung, der die Toten und die Lebenden miteinander ins Tanzen bringt. So schafft das Werk über Generationen hinweg einen Raum für Schwesternschaft und Solidarität, in dem sich Zeitgenossinnen und Ahninnen verbinden – in Kambodscha und darüber hinaus. Zugleich erlaubt es dem Publikum, zu fühlen, zu verarbeiten, nachzudenken und seine eigenen Bedeutungen zu finden. Die Performance hat das grosse Potenzial der beiden jungen Künstlerinnen gezeigt, und wir hoffen, dass dieser Preis sie darin bestärkt, ihren künstlerischen Weg couragiert fortzusetzen.»